AUS: AGNES' TOTENFEIER
»Mai-Lilien, ihr schüttelt eure Glocken
Wen wollet ihr zur Maien-Andacht laden?«
Sie, die von selbst sonst ging auf diesen Pfaden,
Soll, da sie säumt, jetzt unser Läuten locken.
»Mai-Lilien, laßt eu'r Geläute stocken;
Soeben stocket ihres Lebens Faden! «
Ach, sieh, der Tau, in welchem wir uns baden,
Gerinnt zu Reif, so sehr sind wir erschrocken.
»Mai-Lilien, da eure Lust zur Beute
Des Todes ward, was kann euch Trost erzeigen?«
Daß du uns gleich von hinnen nehmest heute
Und gebest ihre Grabstätt' uns zu eigen,
Daß dort sie einwieg' unser sanft Geläute;
Sprich, willst du? »ja!« Wir danken dir mit Neigen.
AUS: AMARYLLIS
(Rückert besang die Gastwirtstochter Maria Elisabeth Geuss als Amara, "Bittere" oder Amaryllis)
Komm, setz' dich, laß dir 'mal ins Antlitz schauen,
Laß deine Hand 'mal friedlich ruhn in meiner;
Ich will einmal als Zimmerer und Schreiner,
So gut ich kann, im Geist ein Hüttchen bauen.
Ganz schlecht und recht soll's sein, nicht viel behauen,
Ganz klein von außen, innen doch viel kleiner,
Nur groß genug mir einem und noch einer,
Die eine ist - was furchst du denn die Brauen?
So klein soll's Hüttchen sein, daß all vorüber
Ein jeder Wind geht, ohn' ans Dach zu hauchen,
Ein jeder Lärm zieht, ohn' ans Tor zu pochen.
Durchaus kein Platz, kein Raum im Hüttchen über,
Als nur so viel zwei jetzt zum Bette brauchen,
Ein drittes dann zur Wieg' in Jahr und Wochen.
Beispiele für Gedichte, die während der Italienreise entstanden sind:
Oktave
Ein Fisch, vom Angel einmal schon betrogen,
Er hütet sich, am zweiten anzubeißen;
Die Taube, die dem Habicht erst entflogen,
Scheut jeden Schnabel, der sie kann zerreißen;
Ein Schäfchen, das der Hirt dem Wolf entzogen,
Mag gern im Stall zu bleiben sich befleißen:
Ein Herz, das doch Erfahrung sollte warnen,
Läßt stets von neuem sich die Lieb' umgarnen.
Die Ritornelle von Ariccia
Auswahl aus den an Ort und Stelle gesammelten
1817
Eindringliche Seufzer
Blüte der Viole!
0 meine Seufzer, dringet durch die Mauer,
Wie eine Ahle durch des Schuhes Sohle.
Gegen den Zauber des bösen Auges
Blüte vom Lauche!
Steck' auf den Hut ein Börstchen fein vom Igel,
So schadet niemand dir mit bösem Auge.
Reiseschuhe
Ich will mir machen ein Paar neue Sohlen;
0 Gott, was für 'nen Weg, den ich will machen!
Ich will ihn finden, der mir's Herz gestohlen.
Paradiesesspeise
Blüte vom Reise!
Zucker und Maccaroni, Butter und Käse,
0 welche schöne Paradiesesspeise.
Das Wickelkind
0 Traubendolde!
Dein Wickelbändchen waren weiche Winde,
Dein Wickelkissen Sonne samt dem Monde.
Ländliche Schönheit
Schwarz ist dein Auge gleich dem Pfefferkorne,
Rot deine Wange wie vom Blut der Rüben,
0 von der Mutter mir zur Lust Geborne!